Dinslakener Geschichte 1897


Gründung des Walzwerks
 

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Dinslaken von der Industrialisierung erfasst wurde. Schließlich bot es günstige Voraussetzungen zur Ansiedlung von Industriebetrieben: ausreichend Raum, genügend Arbeitskräfte und große Kohlelagerstätten. August Thyssen (1842-1926) wusste diese Vorteile für sich zu nutzen und gründete hier 1897 ein Walzwerk und wenige Jahre später ein Bergwerk. Beim Aufbau seines Unternehmens hatte er ähnlich gehandelt: Er hatte das weiträumige Gebiet der Emschermündung für große Industriebetriebe erschlossen und seine Walz- und Hüttenwerke auf die Kohlebasis eigener Bergwerke gestellt. Nachdem er 1871 sein erstes eigenes Walzwerk in Mülheim gegründet hatte, übernahm er 1889 die Gewerkschaft Deutscher Kaiser in Hamborn und gründete 1892 ein Stahl- und Walzwerk in Bruckhausen (heute Duisburg). Der Ausbau des Werkes führte alle Produktionsschritte von der Eisenerzeugung bis zum Halb- und Fertigfabrikat zusammen. Da aber nur größere Walzprodukte hergestellt wurden, plante Thyssen die Gründung eines Feineisenwalzwerkes, um sein Produktionsprogramm zu vervollständigen. In Bruckhausen fehlte es an Raum, deshalb wählte er Dinslaken als Standort, wo die Gewerkschaft Deutscher Kaiser bereits größeren Grundbesitz besaß. Das Dinslakener Walzwerk sollte zunächst die Halbfabrikate des Bruckhausener Stahlwerks zu Stahlflaschen, Walzdraht und ähnlichen Produkten weiterverarbeiten.

In der Nähe des Bahnhofs auf einem großen Gelände, das auch noch Raum für spätere Erweiterungen bot, ließ Thyssen - in nur acht Monaten - erste große Fabrikhallen errichten. Noch in der Silvesternacht 1897/98 konnten viele Dinslakener und zahlreiche Ehrengäste das erste auf der Walzstraße 1 gewalzte Bandeisen feiern. Als laute Bollerschüsse durch die Nacht hallten, hatte auch in Dinslaken das Industriezeitalter begonnen.

Der junge Werksdirektor Ingenieur Julius Kalle (1869-1948) konnte nach diesem ersten Erfolg bald einen weiteren für sich verbuchen: Unter seiner Leitung fand auch der Aufbau eines Kaltwalzwerkes statt, das seit 1899 das Warmwalzwerk ergänzte. Das Kaltwalzwerk war wegen seiner vollkontinuierlichen Breitbandstraße, einer technischen Neuerung, das bedeutendste seiner Art in Europa. Um es vor Industriespionage zu schützen, war es anfangs Fremden nicht zugänglich. Der erst 28-jährige Kalle war auf seine Aufgabe gründlich vorbereitet, denn Thyssen hatte ihn für ein Jahr nach Amerika geschickt, um dort seine beruflichen Erfahrungen durch das Studium der neuesten Walztechnik zu vertiefen. Zuvor hatte Kalle bei der Hermannshütte in Hörde, bei Röchling in Völklingen und bei C. Heckmann in Duisburg gearbeitet und war dann von Thyssen mit der Modernisierung des Bandeisenwerkes in Mülheim beauftragt worden. Bei der Leitung des Dinslakener Werkes ließ Thyssen Kalle weitgehende Entscheidungsfreiheit. Das Kaltwalzwerk entwickelte sich unter seiner umsichtigen und weit blickenden Führung über die ursprüngliche Aufgabenstellung hinaus. Mit den Halbfertigprodukten aus Bruckhausen konnten die Kapazitäten in Dinslaken nicht ausgeschöpft werden. Es musste von fremden Werken hinzugekauft werden.

Der in Wesel wohnende Aloys Fassel, der im Dinslakener Werk als Betriebsingenieur tätig war, konstruierte ein Röhrenwerk. Diese Straße arbeutete mit 14 Walzenpaaren. Bevor ein Rohr fertig war, "pilgerte" es von Walze zu Walze, wurde dabei immer länger und so dünnwandig, wie es gewünscht war (Pilgerschrittverfahren). In einer anderen Halle wurde ein Teil der Produktion gleich zu Masten und Flaschen verarbeitet. Das Rohmaterial kam auf eigenem Bahngleis von der August Thyssen-Hütte in Hamborn.

Das Jahr 1911 brachte einen gewaltigen Ausbau des Betriebes: Das Rohrwalzwerk wurde durch eine Stahlflaschen- und eine Mastenfabrik und das Walzdrahtwerk durch die Übernahme der Draht- und Nagelwerke GmbH C. de Fries erweitert. Die Ausweitung des Werkes schlug sich auch in steigenden Arbeiterzahlen nieder. Im Jahr 1904 waren 769 Arbeiter bei dem Dinslakener Thyssen-Werk beschäftigt, 1914 konnten bereits 2429 gezählt werden. In der Zeit der Weimarer Republik, 1926, konzentrierte August Thyssen seine Eisen- und Stahlwerke in dem Unternehmen Vereinigte Stahlwerke AG, wozu dann auch die selbständigen Einheiten des Dinslakener Werkes, die Bandeisenwerke AG, die Deutsche Röhrenwerke AG und die Westfälische Union AG gehörten. Noch während des Zweiten Weltkrieges war das Werk einer der wichtigsten Industriebetriebe in Dinslaken, aber Zerstörung durch Bomben der Alliierten und die Demontage nach Kriegsende führten dazu, dass das Dinslakener Werk nicht mehr in der alten Weise betrieben werden konnte. Nach 1945 bestanden nur noch einzelne Betriebseinheiten fort.

Seit Gründung des Walzwerks im Jahre 1897 entwickelte sich der Industriestandort Dinslaken kontinuierlich weiter. Nach weniger als 15 Jahren umfasste das Walzwerk Dinslaken, das damals zur Gewerkschaft Deutscher Kaiser in Duisburg-Hamborn gehörte, im einzelnen folgende Betriebe:
- ein Bandstahlwalzwerk mit vier Walzenstraßen,
- ein Drahtwalzwerk mit einer Walzenstraße,
- ein Kaltwalzwerk mit insgesamt 220 Walzgerüsten,
- ein Röhrenwalzwerk mit drei kontinuierlichen und
  fünf Pilgerschritt-Walzwerken,
- eine Stahlflaschenfabrik,
- eine Stahlmastenfabrik,
- eine Draht- und Drahtstiftefabrik,

Für die Dinslakener, die in der Stadt oder auf den umliegenden Höfen keine Arbeit gefunden hatten und deshalb früher nach Hamborn, Essen oder Mülheim fahren mussten, bedeutete das Thyssen-Werk eine spürbare Erleichterung. Die langen Fahrzeiten entfielen, und die Arbeit wurde besser bezahlt als in der Landwirtschaft. Zwar waren die täglichen Arbeitszeiten noch nicht mit den heutigen zu vergleichen, aber ein Tag auf dem Bauernhof war damals deutlich länger als im Walzwerk. Die Stadt gewann eine neue steuerliche Erwerbsquelle, Handwerk und Handel profitierten von der gesteigerten Kaufkraft alteingesessener und neu zugezogener Arbeiter.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Dinslakener Walzwerk von den Besatzungskräften demontiert und in Rußland wieder aufgebaut. Lediglich das zum Stahlwerk "Deutscher Kaiser" gehörende Stahlflaschenwerk, es wurde 1911 gegründet,  blieb den Dinslakenern erhalten. Dank der Übernahme durch die Rheinischen Rohrwerke AG konnte das Werk 1948 wieder neu belebt werden.

Johannes Niggemeier, NRZ 05.10.2015

Um die Jahrhundertwende nahm Dinslaken eine rasante wirtschaftliche Entwicklung: Es gab bis dahin nur wenige kleine Betriebe, eine Eisengießerei und ein Walz- und Hammerwerk. Die Stadtverwaltung stellt in einem Bericht vom 13. Mai 1885 fest: „Hiesiger Stadtbezirk hat keine Industrie.“ 1897 begann Julius Kalle im Auftrag August Thyssens mit dem Bau eines für Dinslakener Verhältnisse gigantischen Bandeisenwalzwerks mit modernster Fertigungstechnik. Die Standortwahl war in der guten Verkehrsanbindung an Thyssensche Unternehmungen im Duisburger Raum begründet. Auch hatte Thyssen bereits das Abteufen des Schachtes Lohberg ins Auge gefasst. Sehr wichtig war auch, dass in Dinslaken noch genug Platz für spätere Betriebserweiterungen und vor allem Wohnraum für Tausende Beschäftigte und ihre Familien geschaffen werden konnte. Man hatte festgestellt, dass viele Arbeiter schon vorher in Dinslaken wohnten, aber in Sterkrade oder im Duisburger Norden arbeiteten.

Zu Beginn des 1. Weltkrieges 1914 bestand das Dinslakener Unternehmen aus dem Bandeisen-Walzwerk, dem Kaltwalzwerk, dem Röhrenwalzwerk, einer Fabrik für nahtlose Stahlflaschen, einer Fabrik für Masten und einem Drahwerk. Zu diesem Zeitpunkt waren 1943 Arbeiter und 144 sogenannte „Beamte“ beschäftigt. Im November 1906 wurde mit dem Abteufen von Schacht 1 in Lohberg begonnen. 1913 ging die Schachtanlage in Betrieb, mit einer Belegschaft von 498 Bergleuten. 1916 waren es schon fast 3000 Beschäftigte.

In dieser Phase Wuchs Dinslaken dramatisch: Lebten hier 1895 noch 3070 Menschen, so stieg die Bevölkerungszahl bis 1905 auf 6031. Weitere zehn Jahre später waren es 11 757 Einwohner, 1920 dann 23 490. 1917 war in einer Phase der kommunalen Neugliederung der größere Teil der ehemals eigenständigen Gemeinde Hiesfeld der Stadt Dinslaken zugeschlagen worden. ...

Der Text stammt aus der NRZ-Serie: 125 Jahre SPD Dinslaken. Zur Fortsetzung

Stahlflaschen und anderes Din-Metall

Heinz Ingensiep, NRZ 23.01.2019

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1950 verlegte der Unternehmer Wilhelm Rötzel seine Eisen- und Stahlwerke Rötzel GmbH aus Breyell bei Nettetal auf das Gelände des ehemaligen Walzwerks. Hier wurde eine Zeit lang warm- und kaltgewalztes Bandeisen produziert.

 

 

Nur ein recht kurzes Gastspiel gab ein gewisser Karl Hacks, der 1949 in den leer stehenden Hallen die Walzwerk Dinslaken GmbH gegründet hatte.

Einige Firmen, die nach dem Kriege in gewisser Form das Erbe des Thyssen-Werkskomplexes antraten, existieren allerdings noch heute: das Metallwerk Dinslaken, Signode und Hamco.