Dinslakener Geschichte: Vom Hexenprozess in Dinslaken 1510 - 1516
 

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Vom Ende des 15. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert blieb fast kein Ort in Deutschland von dem Wahn verschont, der unschuldige Menschen - meist Frauen - zu Hexen machte und sie grausam verfolgte. Juristen, Philosophen und Theologen begründeten und rechtfertigten mit Aufbietung all ihrer Gelehrsamkeit diesen Wahn, der für viele Unschuldige zu Prozess, Folter und Scheiterhaufen führte. Eine rühmliche Ausnahme machten die Klever Herzöge. Die Räte des Klever Hofes stellten den Grundsatz auf, dass es ein gottloser Unfug sei, Widerwärtigkeit und unnormale Vorgänge auf den Teufel oder auf Zauberei zurückzuführen.

Ein besonders interessanter Fall ist die Geschichte der Marienbaumer Nonne Ulant Dammartz, die im Turm der Dinslakener Burg gefangen saß. Die Unglückliche lebte um 1500 in Emmerich. Sie war das Kind angesehener Leute. Eine unglückliche Liebe, eine große Enttäuschung verstörte das arme Mädchen. Heute würde man sie zum Psychiater schicken. Damals suchten diese Mädchen oft Ruhe und Frieden im Kloster. Ulant kam in das Kloster St. Birgitta in Marienbaum. Doch hier verschlechterte sich ihr Zustand. Seltsames Verhalten brachten sie in den Ruf einer Gezeichneten. Mehrere jüngere Klosterfrauen, die sich mit ihr befreundet hatten, erkrankten unter ähnlichen Erscheinungen. Auch sie wurden scheinbar von Dämonen geplagt. Die Ursache für alle Absonderlichkeiten suchte man bei der jungen Novizin. Ulant floh zurück zu ihren Eltern. Doch inzwischen waren die Spukgeschichten von Marienbaum am Niederrhein bekannt geworden. Das aufgebrachte Volk verlangte den Tod der „Hexe". Johann II. von Kleve ließ sie zu Hause verhaften und brachte sie zunächst in den festen Turm von Dinslaken in Sicherheit.

Im Jahre 1516, und das konnte auch der Klever Herzog nicht verhindern, wurde dem unglücklichen Mädchen der Prozess gemacht. Der Prior des Dortmunder Dominikanerklosters wohnte den Verhören bei und ließ in der Klosterchronik das „Geständnis" Ulants aufschreiben. Es lautet. „Dieses hat Ulant Dammartz freiwillig bekannt auf Freitag nach Exaudi im Jahre 1516 vor Schöffen, Notar und Zeugen. Zuerst hat sie bekannt, dass sie einen guten Gesellen liebt, den sie gerne zum Manne gehabt hätte, als sie aber vernahm, dass dieser einer andern verlobt war, wurde sie missmutig und rief den Teufel um Hilfe an, und der kam, und ihm vertraute sie sich an. Gott musste sie abschwören und seiner heiligen Mutter, und musste ihm immer Willens sein. Die Krankheit der Jungfrauen sei ihre Schuld. Sie habe den Jungfrauen Äpfel, Feigen und Kuchen gegeben, die sie von dem Teufel erhielt. Sie gab sie den Jungfrauen, denn sie wusste nicht was darinnen war. Alle, die sie lieb hat, seien krank geworden, und denen, die sie hassen, hat sie nichts getan. Darüber war der Teufel froh und sagte zu ihr: Nun seien alle Dinge vollbracht ...”.

Ulant Dammartz erzählte dem Gericht noch mehr von ihren angeblichen Erlebnissen mit dem Teufel. Es waren Produkte einer absurden Phantasie, die sie herausredete unter dem Zwang der Folter. Ohne gerichtliche Aburteilung blieb Ulant im Dinslakener Gefängnis. Als keine Wendung eintrat wandten sich ihre Angehörigen mit einer Beschwerde an Kaiser Karl V. Am 14. August 1521 sandte dieser ein Schreiben an den Herzog Johann III. mit der Aufforderung, den verschleppten Prozess durch ein rechtsgültiges Urteil abzuschließen. Über den genauen Ausgang weiß man nichts.

Die Dominikanerchronik vermerkt, dass Ulant bis zu ihrem Lebensende im Turm zu Dinslaken gesessen habe („usque ad exitum vitae carceri in Dinxlaken mancipata").

Der Arzt Johann Weyer berichtet dagegen von ihrer Freilassung. Die Annalen der Stadt Emmerich melden ihren Tod nach sechsjähriger Haft in Dinslaken.

Familienunterlagen lassen es jedoch wahrscheinlich erscheinen, dass Ulanth Dammartz gegen die Zahlung größerer Geldbeträge frei gekommen ist und des Landes verwiesen wurde.

Zu Beginn wurde schon erwähnt, dass es hier am Niederrhein weniger „Hexenprozesse" gab als in anderen Teilen Deutschlands. Der Fall Ulant Dammertz in Dinslaken gehört zu den wenigen traurigen Ausnahmen.

Zeitreise mit Hexe

Im Zuge der touristischen Erschließung Dinslakens können verschiedene Führungen durch die Stadt und deren Geschichte gebucht werden.

Eine dieser Führungen wird von der Lehrerin Beate Hettmer angeboten. Sie schlüpft hierzu in die Rolle der Ulanth Dammartz. Sie trägt bei den Führungen ein weinrotes Kleid, eine hellbraune Schürze und einen langen Umhang.

 

Hexe Ulanth Dammartz: Sechs Jahre in Dinslakens Rundturm

Birgit Gargitter, NRZ 29.04.2023

 

So könnte die Dinslakener Burg zur Zeit von Ulanth Dammartz ausgesehen haben. Sechs Jahre verbrachte die junge Frau im Turm der Burg. Foto: Frank Dießenbacher

Als Hexe wurde Ulanth Dammartz angeklagt und sechs Jahre in den Turm der Dinslakener Burg eingesperrt. Das ist die Geschichte der jungen Frau.

Walpurgisnacht und Hexenfeste – die neuen Hexen und Schamanen faszinieren die Menschen schon seit langem. Und es gibt wohl kaum ein Kind, einen Jugendlichen, der die berühmten Zauberer und Hexen nicht kennt: Harry Potter, Ron Weasley, Hermine Granger, Prof. Albus Dumbledore und Minerva McGonagall.

Vor 25 Jahren erschien der erste Band der Harry-Potter-Reihe in Deutschland und sein Erfolg scheint ungebrochen. Nicht zuletzt haben Bücher und Filme dazu beigetragen, wieder einmal in die Welt der Magie, der Hexen, der Zauberer und der Mystik einzutauchen. Keine Rede bei den Kindern von der bösen Hexe im Märchen der Gebrüder Grimm.

Viele Menschen fielen Verfolgung von „Hexen“ zum Opfer

Allerdings wird auch nur ganz am Rande erwähnt, dass es ein Zeitalter gab, in denen die Hexen und Zauberer von den „Muggeln“, den Nichtmagiern, verfolgt und hingerichtet wurden. Und diese Menschen konnten sich keinesfalls wehren, verfügten sie doch nicht über magische Fähigkeiten, sondern viel mehr einem regelrechten Hexenwahn zum Opfer, der allein in Deutschland nach neueren Forschungen rund 25.000 Menschen, zumeist Frauen, das Leben gekostet haben soll.

War der Aberglaube ohnehin weit verbreitet, nahm er in Krisenzeiten zu. Ob Epidemien die Menschheit heimsuchte, ob es Missernten gab oder ein anderer Schicksalsschlag die Menschen traf – immer wurden Schuldige gesucht. Bis Ende des 15. Jahrhunderts entstanden gar zur Erkennung von Hexen fünf Merkmale wie das Teufelsmal, also Narben, Hautflecken, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Hexensabbat und Schadenszauber. Auch führten Konflikte durch die Reformation und die Gegenreformation, der Kölnische Krieg aber vor allem auch der Dreißigjährige Krieg zu vermehrten Hexenanklagen – auch am Niederrhein.

Ulanth Dammartz: Von unglücklicher Liebe zu Wahnvorstellungen

Eine der berühmtesten „Hexen“ war am Unteren Niederrhein wohl die junge Ulanth Dammartz. Geboren Anfang des 16. Jahrhunderts in Emmerich, entstammte sie einer wohlhabenden und angesehen Familie aus Emmerich. Ihr Vater war dort als Schöffe tätig. Die junge Ulanth hatte sich in einen jungen aber versprochenen Mann verliebt. Da sie ihn nicht bekommen konnte, trat sie ins Kloster Marienbaum ein. Ihr Eintritt in das von Maria von Burgund 1460 gegründete Birgittinnenkloster fand weniger aus religiöser Überzeugung, denn als Folge ihres Kummers statt.

Doch auch dort fand die junge Frau keine Ruhe. Sie fühlte sich von Dämonen bedroht, zeigte Verhaltensauffälligkeiten, die auf religiöse Wahnvorstellungen schließen lassen, so Renate Seelisch-Schmitz in dem Buch „Der andere Blick“ des Dinslakener Frauengeschichtskreises. Mit ihrem Verhalten soll sie andere Nonnen angesteckt haben, die nach der Aussage einer alter Nonne „wie die Schafe blöckelten, sprachen mit grausamer erschröcklicher stimm… der Schleyer vor dem Haupt hin gerissen ward...“ Auch sei ihnen der Mund verschlossen, so dass sie keine Speise zu sich nehmen konnten, erfuhr Johann Weyer, Arzt am Hofe Kleves und früher Gegner des Hexenwahns.

Als Hexe eingesperrt – und Pakt mit dem Teufel gestanden

Ulanth Dammartz kehrte schließlich ins Elternhaus zurück. Im Kloster aber führte man all die Geschehnisse schnell auf die junge Frau zurück und verdächtigte sie der Hexerei. Die Öffentlichkeit war beunruhigt und forderte Schutz vor der Hexe. Schließlich ließ Johann II. von Kleve sie verhaften und im Dinslakener Kastell inhaftieren. Da ihr Hexerei vorgeworfen wurde, war das Hoch- und Halsgericht in Dinslaken zuständig.

Ihr wurde 1516 der Prozess gemacht, bei dem sie angeblich nie gefoltert wurde. Was sehr unwahrscheinlich klingt, obwohl das Herzogtum Kleve tatsächlich im Prinzip gegen Hexenverfolgungen eingestellt war. Dennoch gestand sie seltsamerweise den Pakt mit dem Teufel, wie aus einer noch existierenden Niederschrift ihres Geständnisses hervorgeht. Gott habe sie abgeschworen, weil der Teufel es so wünschte, die Krankheit der Jungfrauen sei ihre Schuld und auch den Nonnen soll sie durch den Teufel geschadet haben, heißt es dort unter anderem. Ihre Schuld scheint erwiesen, sie wird in den Hexenturm geschmissen.

Ulanth Dammartz entgültiges Schicksal ist unbekannt

Eigentlich hätte ein solches Geständnis mit dem Tode bestraft werden müssen, doch der Scheiterhaufen blieb ihr erspart. Zu einer Verurteilung ist es nie gekommen, sie verblieb einfach im Rundturm der Dinslakener Burg. Sechs Jahre in demütigender Haft, so schreibt die inzwischen verstorbene Heimatforscherin Renate Seelisch-Schmitz, wurde sie in Dinslaken gefangengehalten. Der Arzt Johann Weyer habe 20 Jahre später geschrieben, dass sie im Kerker „von dem, der sie in Bewahrung hatte“ zweimal geschwängert worden sei.

Mehrmals versuchten ihre Eltern, sie freizukaufen – vergeblich – bis sie sich schließlich an Kaiser Karl V. wandten. Der verlangte eine Stellungnahme des Klever Herzogs. Leider gibt es darüber keine Dokumente mehr. Auch ist das weitere Schicksal der Ulanth Dammartz nicht bekannt. Zwei Quellen stehen für die Freilassung der als Hexe beschuldigten Frau. Einmal das Gnadengesuch ihrer Verwandten, in dem gebeten wird, dass Ulanth Dammartz aus ihrer Verbannung in Antwerpen zurückkehren wolle, was bewilligt wurde. In einem weiteren Brief ging es um ihr Erbe.